Hörproben psychologischer Radiobeiträge (2)
aus den Jahren 2020 bis 2021
Reichen zwei Stunden pro Woche in der Natur, um glücklicher zu werden? (MDR Jump, 2020)
Ja, das stimmt. Der Mensch ist als biologische Art nur ein Teil vom Ganzen einer riesigen Welt des Lebendigen. Und Aufenthalte in der freien Natur erinnern uns da gewissermaßen an unsere evolutionäre Herkunft und wir werden demütiger und glücklicher. Wir modernen Menschen haben uns ja von der Natur weitgehend unabhängig gemacht. Wir ersetzen Kälte durch beheizte Räume und Dunkelheit durch künstliches Licht. Von Zeit zu Zeit nach draußen zu gehen, und sei es nur wenige Stunden pro Woche, heißt den Alltag zu durchbrechen, den Blick zu öffnen für Sonne und Wolken, und für Pflanzen und Tiere, die jetzt gerade ebenfalls mit uns lebendig sind.
Halten Freundschaften nur sieben Jahre? (MDR Jump, 2020)
Also diese Aussage ist nicht falsch. Freundschaften rufen nach Pflege. Sie unterhalten sich nicht von selbst, sondern setzen permanente Bemühungen um gemeinsame Zeit voraus. Nun leben wir jedoch in einer Gesellschaft, in der ständige Weiterentwicklung groß geschrieben wird. Gerade durch soziale Medien können wir ja täglich neue Kontakte knüpfen. Traditionelle Freundschaften können da oft nicht mithalten und lösen sich nach einigen Jahren. Dennoch gibt es einen Unterschied: Echte Freunde packen zum Beispiel bei meinem Wohnungsumzug mit an, wohingegen meine Friends, Contacts und Followers bestenfalls zur Einzugsparty kommen.
Droht die Corona-Stimmung zu kippen? (BB Radio Länderwelle Berlin/Brandenburg, 2020)
Man kann sich darauf verlassen, dass autoritäre Maßnahmen immer auch antiautoritäre Reflexe auslösen. Hinzu kommt, dass im Falle von Corona staatliche Behörden mitunter wie Super-Nannies agieren, die auf Bürger schauen als wären es ungezogene Kinder. Dass die Bereitschaft zum Befolgen der verordneten Corona-Maßnahmen sinkt, hängt aus psychologischer Sicht damit zusammen, dass sie unserem Naturell nicht entsprechen. Wir sind soziale Wesen, die miteinander in Berührung kommen wollen. Wir möchten Gesichter lesen, keine Masken. Für eine gewisse Zeit nehmen wir Einschränkungen in Kauf, aber solche Bögen darf man nicht überspannen.
Warum glauben wir an die Stärke unserer Partnerschaften? (BB Radio Länderwelle Berlin/Brandenburg, 2020)
Menschen neigen zur Selbstgratulation. Auch in Partnerschaften spricht man sich selbst mehr Glück oder Kompetenz zu als der Durchschnittsbevölkerung. Vor allem möchten wir uns den Eindruck versagen, eine Niete gezogen zu haben. Wer in unsere erotische Schusslinie gerät, auf den lassen wir nichts kommen. Allerdings ist die Liebe ja nur selten ein Dauerbrenner. Auch Partnerschaften besitzen Sollbruchstellen.
Warum lästern wir? (BB Radio Länderwelle Berlin/Brandenburg, 2020)
Aus psychologischer Sicht schlägt Lästern zwei Fliegen. Zum einen wird die soziale Beziehung zu denjenigen vertieft, mit denen ich gemeinsam über Nichtanwesende lästere. Zum anderen werden beim Lästern ja die Schwächen anderer Personen betont, sodass ich mich über sie stellen und selbst aufwerten kann. Beispielsweise trafen sich im Mittelalter die Frauen des Dorfes am Waschplatz, um im doppelten Sinne schmutzige Wäsche zu waschen. Sie wurde auf einen Stein geschlagen, wodurch das typische Geräusch entstand, das man noch heute als "Klatsch" bezeichnet.
Warum gucken wir Reality-TV-Formate? (BB Radio Länderwelle Berlin/Brandenburg, 2020)
Weil wir dabei in überlegener Muße unsere Fernsehsessel füllen und zuschauen, wie bei anderen Leuten Zankäpfel über den Tisch rollen. Das heißt, ohne persönlich betroffen zu sein, können wir abseits vom Spielfeldrand beobachten, wie Konflikte entstehen. In der Regel stellen wir ja dann mit Schadenfreude oder Genugtuung fest, dass deren knappes Kapital an Seriosität rasch aufgebraucht ist.
Warum gibt es Cancel Culture? (BB Radio Länderwelle Berlin/Brandenburg, 2020)
Also wir leben in Erregungsräumen und in einer Therapiekultur. Und die Aktiven der Cancel Culture agieren gewissermaßen als Sozialtherapeuten. Man spürt ethisch Bedenkliches auf und möchte die Gesellschaft dadurch besser machen, indem man Kritikwürdiges offenlegt und ins Abseits stellt. Dass man sich gleichzeitig über Andere erheben kann, löst offenbar gute Gefühle aus.
Warum loben wir so wenig? (BB Radio Länderwelle Berlin/Brandenburg, 2020)
Das hat wahrscheinlich evolutionäre Gründe. Mit Kritiken wollen wir eine bestehende Lage ja verändern. Wenn hingegen alles zu unserer Zufriedenheit läuft, besteht für uns ja kein Grund, uns kund zu tun. Vermeintliche Bedrohungen zu bannen, erscheint uns für's erste wichtiger als Beziehungspflege. Wer andere lobt, gewinnt Verbündete. Auch unsere Freunde und Kollegen sind zuweilen vielleicht von Selbstzweifeln geplagt. Und wenn wir ihnen positive Feedbacks schenken, verlieren die von ihnen gewälzten Steine an Gewicht.
Bremst Corona den Führungsergeiz aus? (BB Radio Länderwelle Berlin/Brandenburg, 2020)
Wir beobachten schon seit einigen Jahren, dass der Ehrgeiz sinkt, sich für die Arbeit zu verzehren. Gerade jüngeren Menschen ist ein schönes Leben mit viel Zeit für Familie und Freizeitaktivitäten wichtiger als Gehaltsmaximierungen und Statussymbole. Und durch das coronabedingte Working at Home hat sich dieser Prozess beschleunigt und uns auf den Geschmack kommen lassen. Durch Videokonferenzen haben viele ja auch gelernt, sich selbstbewusster zu verkaufen. Die Hierarchien in Unternehmen werden flacher und das Chefsein nicht mehr so reizvoll.
Wie blendet man Probleme aus? (BB Radio Länderwelle Berlin/Brandenburg, 2020)
Möchte man Dinge innerlich ausblenden, muss man eine Außenperspektive einnehmen. Man stellt sich in diesem Jahr 2020 beispielsweise vor, es sei bereits 2030 und man schaut 10 Jahre zurück. Dann ist zwar das damalige Problem sichtbar, aber zugleich auch viele intakte Dinge. Beispielsweise war im Jahr 2020 trotz mancher Probleme die persönliche Gesundheit doch weitgehend stabil, es bestand keine materielle Notsituation, und die Kinder haben sich eigentlich ganz gut entwickelt.
Macht uns Liebe dicker? (BB Radio Länderwelle Berlin/Brandenburg, 2020)
Wenn wir uns am Anfang einer Beziehung wohlfühlen, nehmen wir zunächst zu und die äußere Fülle ist Ausdruck der inneren Fülle. Sobald wir aber einen allzu geräumigen Schatten werfen und vielleicht einen potenziell neuen Partner kennenlernen, beginnen wir zu kippen. Wir möchten dann für sie oder ihn attraktiv sein und legen plötzlich wieder mehr Wert auf Abnehmen und Sport und Körperpflege. Sollten beim bisherigen Partner dann die Alarmglocken schrillen, wäre es übrigens kein Fehler, mit der gesunden Lebensweise gleich zu ziehen.
Verraten uns optische Täuschungen? (BB Radio Länderwelle Berlin/Brandenburg, 2021)
Grundsätzlich stimmt es schon, dass es etwas über uns aussagt, was wir zuerst sehen. Bei sogenannten Kippbildern geht unser Gehirn zunächst von demjenigen aus, was in unserer Wahrnehmung häufiger vorkommt. Das heißt: Sind wir auf etwas vorrangig geprägt, wird unser Gehirn dies dann zuerst wiedererkennen wollen. Wer beispielsweise viele Frauen im Kopf hat, sieht sie überall. Und geht uns ein Mann oder Männer im Kopf herum, dann suchen wir auch Bilder zuerst danach ab. In gleicher Weise sind uns einige Tiere näher als andere und dies wirft dann ein Licht auf uns.
Was bedeutet Telefonphobie? (Hörfunksender M94.5 der Mediaschool Bayern / Ludwig-Maximilians-Universität München, 2021)
Was der Volksmund Telefonphobie nennt, ist eine Spezialform von sozialen Phobien, bei denen die Betroffenen sich vor bestimmten Alltagssituationen ängstigen. Hier ist es die Angst, mit fremden Menschen ein Telefongespräch zu führen.
Man kann sich vor Telefonaten ein paar Stichpunkte notieren, tief ausatmen und ein Lächeln durch das Gerät schicken. Je fleißiger wir üben, desto souveräner werden wir.
Wie gehen wir mit neuen Verfilmungen um? (Radio Brocken, 2021)
Das menschliche Gehirn arbeitet letztlich wie das Zentralkomitee einer Partei, die zu lange an der Macht war. Wir richten uns ein auf das von uns schon Gekannte und wir verlassen nur höchst ungern festgefahrene Muster.
Wie gewinnen wir die Kontrolle über unser Kommentierverhalten zurück? (Radio Brocken, 2021)
Kultivierte Menschen erkennt man ja daran, dass sie, wenn sie sich gereizt fühlen, nicht einfach reagieren, sondern reflektieren. Man darf nämlich seine Feinde nicht hassen, denn das trübt die eigene Urteilskraft. Da uns unsere elektronischen Endgeräte jederzeit nahe liegen, fällt die Hemmung vor einer Kommentierung schwerer als das Posten.
Hass trifft nicht den Gehassten, sondern vergiftet den Hassenden. Deshalb sollten wir im besten Fall niemals ausrasten, sondern innerlich in einen reflektierten Modus einrasten. Am besten gelingt dies, wenn man vor dem Posten sich eine kurze Essenspause verordnet oder eine Nacht darüber schläft.
Ist Gähnen ansteckend? (MDR Jump, 2021)
Ja, das ist ein Fakt. Die ansteckende Wirkung des Gähnens wird vor allem den Spiegelneuronen zugeschrieben. Also Nervenzellen, die beim Betrachten eines Vorgangs das gleiche Aktivitätsmuster im Gehirn auslösen wie bei dessen eigener Ausführung. Gähnen dient also auch der Synchronisierung von sozialen Gruppen und ist umso ansteckender, je besser sich deren Mitglieder kennen. Das funktioniert sogar über biologische Artgrenzen hinweg. So lassen sich beispielsweise auch Hunde vom Gähnen ihrer Besitzer anstecken, sodass ihre Lärmwut vorübergehend gestillt ist.
Bekommt man größere Portionen, wenn man Trinkgeld gibt? (MDR Jump, 2021)
Ja, das ist ein Fakt. In einer Studie der Universität Innsbruck wurden 800 Döner und 100 Eisbecher von Testkäufern in Graz, Innsbruck und München erworben. Bereits während der Bestellung legten sie einen aufgerundeten Betrag auf den Tresen mit den Worten "Der Rest ist für Sie" oder ließen etwas in die Trinkgeldbox fallen. Die Eiskunden erhielten darauhin im Schnitt 17% mehr Eis und die Dönerkunden mehr Fleisch. Interessanterweise zahlt sich Freundlichkeit generell aus: Wurden von den Testkäufern beim Bestellvorgang Komplimente gemacht wie "Sie haben das beste Eis der Stadt" oder "Nirgends schmeckt mir der Döner besser als bei Ihnen", dann wurden automatisch die Portionen größer und liebevoller angerichtet. Als Psychologen sprechen wir von Reziprozität: Je netter man in den Wald aus Menschen hinein ruft, desto angenehmer das Echo.
Ist Liebeskummer so schmerzhaft wie kalter Drogenentzug? (MDR Jump, 2021)
Ja, das ist ein Fakt. Das Zentrum der Liebe ist nämlich nicht das Herz, sondern das Gehirn. Im Zustand des Verliebtseins werden Hirnareale aktiviert, die auch auf Opiate und Kokain ansprechen. Unser Begehren wird also quasi durch Neurotransmitter belohnt, woran man sich ähnlich einer Sucht gewöhnen kann. Werden unsere Liebeswünsche frustriert, sind wir kalt ausgebremst. Im übrigen ist dies keine Frage des Alters, denn Liebesfantasien können auch dann noch in Schwung kommen, wenn bereits letzte Ernte auf dem Halm steht. Sie bringen ja den Männern die Illusion von Langlebigkeit ein und den Frauen die rosigen Wangen.
Wie sollten wir Vorsätze fassen? (BB Radio Länderwelle Berlin/Brandenburg, 2021)
Natürlich ist es günstig, Neujahrsvorsätze konkret zu formulieren, sie schriftlich festzuhalten und mit anderen Menschen zu teilen. Aber als Psychologe würde ich eher zu selbstgestellten Fragen raten. Beispielsweise: Weiß ich, was ich brauche? Wie viel Geld möchte ich besitzen? Hätte ich mich selbst gern zum Freund? Und dann: Wobei genau helfen mir die von mir gefassten Neujahrsvorsätze? Wenn wir dann Probleme mit dem Durchhalten haben, sollten wir uns fragen: Was hielt mich heute davon ab? Überzeugt mich meine Selbstkritik?