Beiträge für einen Podcast (6)
Warum meckern wir gern? (BB Radio, 2021)
Unser Volk ist im Murren geübt. Wenn wir meckern, verschaffen wir uns ein Gefühl von Überlegenheit, denn über Dinge, die wir ablehnen, glauben wir ja Urteile fällen zu können. Diese Sicht erzeugt das deutsche Wetter, das landesübliche Grau. Schon Heinrich Heine konnte ein Lied davon singen. Psychologisch ist es wesentlich leichter, etwas zu missbilligen als ihm zuzustimmen. Bei Rainer Maria Rilke fallen bekanntlich sogar Blätter mit verneinender Gebärde.
Warum haben wir oft falsche Vorstellungen vom Ruhestand? (BB Radio, 2021)
Demografisch gesehen sind alte Leute gewaltig im Kommen. Die Werbung zeigt uns dabei gut erhaltene Paare auf störungsfreier Kreuzfahrt oder in milder Parkbank-Erotik. In der Realität stellt sich im Alter aber nicht automatisch Sorglosigkeit ein und manche Hoffnungen legen sich schon aus gesundheitlichen Gründen schlafen. Auf der anderen Seite kann der Ruhestand aber eine viel schönere Lebensperiode als erwartet sein, da sich ein Gefühl von Genugtuung einstellt, wenn man schon viel hinter sich gebracht hat.
Warum reden wir gern über das Wetter? (BB Radio, 2021)
Wir alle sehen uns wechselndem Wetter ausgesetzt. Da wir es nicht wirklich beeinflussen können, machen wir nie einen Fehler, es zu beschreiben und zu bewerten. Das Wetter ist über alle Berufsgruppen hinweg ein perfektes Konversationsthema. Ob die Sonne über dem Grase brütet oder Regen uns zögern lässt, das Freie aufzusuchen - jeder hat genügend Wettererfahrung und darf demnach gleichberechtigt mitreden.
Warum essen wir zu viel? (BB Radio, 2021)
Die meisten Menschen essen ohne allzu viel Widerwillen. Bereits im alten China sagte man: Das Essen ist der Himmel des Volkes. Wir nehmen aber nicht nur dann mehr Nahrung als benötigt auf, wenn Mahlzeiten rasch verabfolgt werden, sondern eigentlich auch dann, wenn wir gesundheitsbewusst nur eine Möhre kürzen oder einen Apfel krachen lassen. Ein psychologischer Grund liegt darin, dass die Meinungen der Menschen sich nach Mahlzeiten ändern. Durch Essen geben wir unbewusst also unseren Gedanken neue Richtung. Deshalb gibt es übrigens auch Diplomaten-Bankette.
Warum sind für uns Gerüche wichtig? (BB Radio, 2021)
In der Luft schweben Duftmoleküle, die zu den Riechzellen unserer Nase gelangen. Dort docken sie an 350 unterschiedliche Rezeptortypen an, deren Eindrücke sich kombinieren und an unser Gehirn geleitet werden. Wir selbst geben auch Duftstoffe für unsere Artgenossen ab, die Pheromone, die unbewusst Hormone und Emotionen auslösen. Durch die enge Verzahnung des Riechens mit unseren Gefühlen bedarf es oft nur einer flüchtigen Geruchsprobe, um die Nase voll zu haben.
Warum hören wir manchmal nicht zu? (BB Radio, 2021)
Obschon manche Menschen immer redetüchtig bleiben, stellen sich ergebene Zuhörer nicht automatisch ein. Befinden wir uns nämlich in einer elegischen Stimmung oder hängen eigenen starken Gedanken nach, reichen unsere kognitiven Kapazitäten nicht mehr aus, anderen zuzuhören. Wie es im Märchen die Tarnkappe gibt, so gibt es also im wirklichen Leben die Erscheinungskappe, die uns sichtbar macht, obwohl wir eigentlich nicht da sind.
Warum sind wir selbstkritisch? (BB Radio, 2021)
Auf den ersten Blick wirkt es ja bescheiden und sympathisch, wenn wir uns selbstkritisch geben. Tatsächlich öffnet Selbstkritik jedoch den Zugang zum Eigensinn. Durch das Einräumen eines Fehlers als persönliche Schwäche rufen wir für sein erneutes Auftreten quasi im voraus um Verzeihung an. Interessanterweise gilt dies auch für unsere eigene Psyche. Was immer wir großmütig mit Selbstkritik markieren, können wir anschließend fortsetzen und als Marotte pflegen.
Warum brauchen wir Vorbilder? (BB Radio, 2021)
Zwischen uns Menschen existieren Vertikalspannungen. Das heißt, wir orientieren uns nach oben und nehmen einzelne Artgenossen als Vorbilder in den Blick, die schon mehr erreicht haben als wir selbst. Wir benötigen sie als Inspiration oder Schablone für unsere eigenen Veränderungsbemühungen. Im Internet nennen wir Beobachter witzigerweise Follower. Gottlob denken von denen aber die meisten keine Sekunde lang daran, dem Star, dessen "Seite" sie besuchen, in irgend einer Weise zu "folgen".
Warum verwenden wir Ironie? (BB Radio, 2021)
Ironie ist ein feiner Spott, mit dem wir etwas dadurch zu treffen suchen, wenn wir es unter dem augenfälligen Schein der eigenen Billigung lächerlich machen. Durch eine distanzierte, das Zeitgeschehen ironisch relativierende Weltbetrachtung geben wir uns einem Gefühl von Überlegenheit hin. Die Haltung liberaler Ironie gegenüber allem Ernstgemeinten ist aber leicht nachahmbar und entspricht in etwa der Einstellung des Kunden, der über den Markt spaziert, ohne zu kaufen. Ironische Geringschätzung ist also ein Kompromiss zwischen Anpassung und Subversion.
Warum träumen manche vom ewigen Leben? (BB Radio, 2021)
In letzter Zeit hört man immer öfter von Forschungen vor allem aus dem Silicon Valley, bei denen unsere Alterungsprozesse gestoppt werden sollen durch genetische Eingriffe, neue Medikamente und Nanoroboter für Zellreparaturen. Offenbar sehen diese Forscher den Tod ungern und versprechen sich unaufhörliches Glück durch frivole Langlebigkeit. Bei psychologischer Betrachtung ist es eigentlich bedeutungslos, unsterblich zu sein. Vom Menschen abgesehen sind es alle anderen Geschöpfe nämlich bereits, da sie vermutlich das eigene Altern nicht erfassen.
Warum weinen wir Freudentränen? (BB Radio, 2021)
Entgegen landläufiger Meinung, ist Weinen gar kein Ausdruck von Trauer, sondern von Machtlosigkeit. Sobald wir uns ohnmächtig gegenüber starken emotionalen Momenten fühlen, versucht der Hypothalamus im Gehirn, uns an diese Belastung anzupassen. Tränen können dann das emotionale Gleichgewicht wieder herstellen, weil sie Gefühle quasi in Körperreaktionen umwandeln und abfließen lassen. Einige Menschen bleiben dann jedoch auf ihren Tränensäcken sitzen.
Warum sind wir gern im Wald? (BB Radio, 2021)
Der moderne Mensch empfindet sich nicht mehr als Bewohner der Natur, sondern als ihr Deserteur. Dennoch tragen wir unser altes evolutionäres Erbe als Waldwesen in uns und versuchen uns mit ihm wieder zu verbinden. Wo wir hausen, grenzt Wald an. Von Zeit zu Zeit möchten wir ihn betreten, da wir ihn als offenen Neugier- und Überraschungsraum betrachten wollen. In Deutschland muss es uns natürlich noch gelingen, den strammgestandenen Kiefern und Fichten ihr Preußentum auszutreiben.
Warum haben wir ein angespanntes Verhältnis zu unseren Schwiegereltern? (BB Radio, 2021)
Psychologisch muss man unterscheiden zwischen der naturwüchsigen Familie und der erworbenen. Mit unserer eigenen Herkunftsfamilie teilen wir gemeinsame Gene und sind einander seit Jahrzehnten vertraut. Die Schwiegereltern hingegen beurteilen wir nicht nur aufgrund unserer eigenen Erfahrungen, sondern auch durch Erzählungen mit der Brille unseres Partners. Wir befinden uns dann in einem Loyalitätskonflikt zwischen der kritischen Sichtweise unseres Partners und unserem eigenen Eindruck von eigentlich recht netten Leuten.
Warum gucken wir manchmal grimmig? (BB Radio, 2021)
In unseren Gesichtern spiegeln sich innere Vorgänge wider. Sobald wir aus einem Zustand der Entspannung in den von sorgenvoller Gedankentätigkeit umschalten, verfinstert sich unsere Mine alttestamentarisch. Die zahlreichen Gesichtsmuskeln zeigen aber nicht nur unsere Emotionen, sondern auch den körperlichen Gesamtzustand. Ballen wir unsere Fäuste, ballt sich auch unser Gesicht und erweckt faltig den Eindruck, als prüfe es hinter der Stirn eine komplizierte Rechnung, die nicht aufgehen will. Öffnen wir dann langsam unsere Handflächen, entspannt sich gleichzeitig unsere Mimik.
Warum entwickeln wir ständig Theorien? (BB Radio, 2021)
In unserem Bemühen, die Welt zu verstehen und für uns handlich zu machen, erschafft unser Geist ständig Konstrukte. Dabei kümmern sich oft die Naturwissenschaften um die lösbaren Probleme und die Geisteswissenschaften um die unlösbaren. Manche ihrer Theorien sind sogar so kompliziert formuliert, sodass man lange braucht um zu begreifen, dass sie zu einfach sind. Theoretisch hat hier Theorie etwas mit Praxis zu tun, praktisch aber nicht.
Warum lassen sich einstmalige Partnerschaften schlecht aufwärmen? (BB Radio, 2021)
Ist uns eine Partnerschaft misslungen oder sind wir gar in die Ehefalle getappt, bleibt auch nach deren Ende die Spur der Probleme miteinander bestehen. Die Trennung erfolgte ja nicht grundlos. Hatten wir beispielsweise eine anhaltend strittige Beziehung geführt oder damals den ganzen Winter hindurch Mühe gehabt, mit einer Psychotherapie unserer zerrütteten Ehe nachzukommen, dürfen wir nicht erwarten, dass beim zweiten Versuch alles auf Null gesetzt werden kann. Dafür ändern sich Menschen zu wenig.
Warum singen wir Nationalhymnen? (BB Radio, 2021)
Nationalhymnen sollten im 19. Jahrhundert Freiheitspathos und Gemeinschaftsgefühle beschwören. Heute fällt bei Sportturnieren auf, dass Athleten aus Südamerika ihre Hymnen mit einer Hingabe schmettern, als seien die heroischen Werte von Freiheit und Unabhängigkeit von ihnen noch in unmittelbarer Zukunft zu erobern. Franzosen, Engländer und Amerikaner hingegen sehen beim Hymnensingen eher wie säkulare Mönche im Morgengebet aus - ohne Ekstase, aber mit republikanischer Würde. Deutsche Sportler wirken in dieser Situation oft, als hätte ihnen jemand empfohlen, mit nachdenklicher Miene und verhaltenen Lippenbewegungen die Tiefe des Textes auszuloten.
Warum haben wir Mitleid? (BB Radio, 2021)
Durch Spiegelneuronen im Gehirn vermögen wir als Beobachter uns in das Leid von Mitmenschen einzufühlen. Zudem existiert seit der Epoche der Aufklärung eine Assoziation zwischen Rollen wirtschaftlicher oder sozialhierarchischer Unterlegenheit und einem moralischen Bonus mit der Behauptung, Leiden verdiene Mitleid und Unterstützung. Beispielsweise sollen die Gesichter von Bettlern einen überwältigenden Grad von Not in den Vordergrund zu rücken. Das ist quasi ihr Beruf. Ob diese Gesichter vielleicht die Masken eines in Wirklichkeit mehr oder weniger mühelosen Geldverdienens sind, ist nicht entscheidend, denn ihnen geht es auf jeden Fall schlechter als uns.
Warum bemerken wir Frisurveränderungen beim Partner kaum? (BB Radio, 2021)
Unsere Gesichterwahrnehmung ist immer ganzheitlich und darauf gerichtet, Menschen wieder zu erkennen und deren Emotionen zu erfassen. Hierfür spielt die Frisur faktisch keine Rolle, weshalb wir sie nur mit flüchtigem Blick registrieren. Eigentlich ist es also eine fast überflüssige Verausgabung, mit unseren Haaren beschäftigt zu sein. Ob wir glättend darüber streichen oder unser Witterhaar wie Seeleninneres aufgewühlt ist: Für unsere Mitwelt macht es kaum einen Unterschied und unser Haar gefällt sich in immer neuen Zufällen.