Beiträge für einen Podcast (4)


Warum lieben wir Selfies? (BB Radio, 2021)



Selfies markieren Momente, wo Weltwahrnehmung auf die Perspektive von Selbstreflexivität umschaltet. Das heißt, wir setzen uns zu unserer Umgebung in Beziehung, indem wir uns in ihren Mittelpunkt schieben. Da die menschliche Wahrnehmung besonders Gesichter sehr gut lesen kann, sind Selfies geeignet, uns in derjenigen sozialen Rolle zu inszenieren, in der wir uns gern sehen würden.

Warum sind wir manchmal durch den Wind? (BB Radio, 2021)



Die Völker alter Kulturen waren dämonengläubig. Wenn wir heute meinen, es in geringerem Maße zu sein, so weil wir die bösen Geister in den Individuen einquartiert haben. In ihnen leben sie als destruktive Impulse weiter. Was man früher "die Dämonen" genannt hat, nehmen wir auch heute noch wahr, nur heißen sie jetzt "die Hormone".

Warum ahmen wir einander nach? (BB Radio, 2021)



Als Herdentiere trauen wir instinktiv dem Urteil von Gruppen und sprechen uns Schwarmintelligenz zu. Wenn Nachbarn und Kollegen ein Produkt oder eine Dienstleistung erwerben, strahlt dies oft auch Anziehungskraft auf uns aus. Durch Nachahmung gerät jedes Verhalten in eine Spur, der dann wieder andere folgen und die sich damit tiefer in den Boden drückt. Übrigens gilt das auch im politischen Bereich: In allen Demokratien hat eine Mehrheit von Wählern die vorbewusste Tendenz, mit der Mehrheit stimmen zu wollen.

Warum sind wir schlechte Beifahrer im Auto? (BB Radio, 2021)



Beim Führen von Kraftfahrzeugen hat jeder einen eigenen Stil. Als Beifahrer fühlt man sich dieser abweichenden Fahrweise ausgeliefert. Wir erinnern wir uns dann bewusst oder unbewusst an unsere damaligen strengen Fahrlehrer, die von diesem Platz aus zurechtweisen und bei heiklen Manövern sogar eingreifen durften. Hinzu kommt, dass uns als Passive daran gelegen ist, diese Lage möglichst schnell zu verlassen und zum Ziel der Navigation zu gelangen. Aus Sicht des Beifahrers stehen innerlich alle Ampeln auf Grün.

Warum akzeptieren wir bei Luxusgütern überteuerte Preise? (BB Radio, 2021)



Käufer von Luxusgütern sind zwar entschlossen, in ihnen eine überragende Qualität sehen zu wollen, jedoch besteht der Sinn dieser Produkte gerade darin, sich von denjenigen Menschen abzugrenzen, die sie nicht erschwingen können. Diese materielle Arroganz wird augenfällig, wenn Schmuck umfangreich angebracht ist oder ein Wagen vor dem Haus steht, der auf eine erfreuliche Vermögenslage schließen lässt. Generell kann man sagen, dass hohe Kosten dazu verleiten, dasjenige gut zu finden, wofür man sich entschieden hat.

Warum hören wir Radio? (BB Radio, 2021)



Unser Gehirn prüft permanent: Besteht gerade irgendeine akute Gefahr oder kann ich mich ein bisschen entspannen? Sobald Musik an meine Ohren dringt oder ich eine schöne Moderatorenstimme höre, meldet mein Gehirn, dass um mich herum eigentlich eine recht annehmbare Welt existiert und schaltet mich automatisch einen Gang herunter. Radiohören ist also Psychohygiene.

Warum bleiben wir Optimisten? (BB Radio, 2021)



Die meisten Menschen sind gewissermaßen auf dem zweiten Bildungsweg zu Optimisten geworden. Die Lebenserfahrung lehrt nämlich, dass pessimistische Prognosen durch den Lauf der Dinge nie bestätigt werden. Es kommt zwar nie so gut wie von den blauäugigsten Optimisten erhofft, aber auch nie so schlecht wie von den Pessimisten befürchtet. Im Regelfall pegelt sich das Leben tatsächlich auf eine gesunde Mitte ein.

Warum macht Superreichtum nicht glücklich? (BB Radio, 2021)



Der Ausdruck "wunschlos glücklich" ist irreführend, denn Wunschlosigkeit löst ihr sprichwörtliches Glücksversprechen kaum je ein. In Wirklichkeit ist ein luxuriöses Leben oft unbefriedigend, da es kein sinnvolles Ziel besitzt. Beispielsweise benötigt man für eine klassische 18-Loch-Golfrunde ca. viereinhalb Stunden; damit ist noch nicht genug Zeit totgeschlagen. Und ist man mit der eigenen Yacht auf dem Mittelmeer unterwegs, steuert man ja doch nur immer wieder die gleichen drei, vier Lieblingsrestaurants in Monaco oder Saint-Tropez an.

Warum ändern wir uns kaum? (BB Radio, 2021)



Wir werden durch früheste Erfahrungen geprägt. Sobald wir in Kindheit und Jugend eine Charakter- und Verhaltensschablone gefunden haben, die für uns funktioniert, halten wir am vermeintlich Bewährten fest und haben keinen Änderungsbedarf. Oft stricken wir also zeitlebens an den angefangenen Strümpfen weiter. Nur durch ein Wunder würde dann auf ihnen zufällig ein unvorhergesehenes Muster entstehen.

Warum bewahren wir Krimskrams auf? (BB Radio, 2021)



Unser Gedächtnis zeichnet sich durch Lücken aus. Sobald es ins Straucheln kommt, sind wir froh, wenn uns Gegenstände vorliegen, die ihm auf die Sprünge helfen. Erleben wir etwas Besonderes, möchten wir ihm Dauer verleihen, indem wir ein Andenken als Mitbringsel in die Zukunft hinein retten. Je älter wir werden, desto stärker erinnert unsere Wohnung an die Asservatenkammer eines abgedankten Staatschefs.

Warum brauchen wir Freunde? (BB Radio, 2021)



Freundschaften sind Bündnisse gegen die Zerbrechlichkeit des Lebens. Aus psychologischer Perspektive sind Freunde demnach Mitwisser in Fragen des Älterwerdens. Sie begleiten uns auf parallelen Lebenswegen und ermöglichen wechselseitige soziale Interaktion. Allerdings zeigt sich oft: Fünf Freunde bedeuten Lebensfreude, zehn Freunde bedeuten Kalenderstress, zwanzig Freunde führen ins Burnout.

Warum glauben wir an Dies und Das? (BB Radio, 2021)



Glauben ist eine anthropologische Grundkonstante. Was ich glaube, gibt mir Halt, da ich es nicht geistig durcharbeiten muss. An etwas zu glauben, ist also auch ein Akt von Bequemlichkeit, die aufzugeben wir oft keine Veranlassung sehen. Wir suchen unter denjenigen Bildern Zuflucht, die sich nach unserem Dafürhalten bewährt haben. Gegenläufige Erfahrungen fallen gern aus dem Kreis unserer Aufmerksamkeit oder sind an die Peripherie gedrängt.

Warum haben wir One-Night-Stands? (BB Radio, 2021)



Klassische Wege der Pflege von Partnerschaften sind oft langwierig und mühsam. Zudem suchen Menschen zuweilen nach besonderen Erlebnissen und Bestätigungen ihres Marktwertes. Um dies zu erreichen, genügt es manchen Männern, sich in wechselnden Frauen zu erschöpfen. Und manche Frauen finden es reizvoll, einen Mann, den sie kaum kennen, auf sich wirken zu lassen.

Warum gehen wir ohne Smartphones nicht aus dem Haus? (BB Radio, 2021)



Den Menschen liegen ihre Handys nah. Der Reiz besteht darin, dass wir unsere Körper quasi zu Sende- und Empfangsstationen für die weite Welt verlängern. Ein solches Verbundensein mit beliebigen Artgenossen in der Ferne ist ein evolutionäres Novum, das unsere Lebens-Chancen erhöht und sich deshalb rasch durchgesetzt hat. Weltweit sprechen bereits Teenager ihrem Handy zu. Aber auch unter uns Erwachsenen liegen die Smartphones oft wie Pistolen auf dem Tisch, mit denen man den Tischgenossen bei jedem eintreffenden Anruf ins kommunikative Aus schießen kann.

Warum bringt uns partnerschaftlicher Streit nicht weiter? (BB Radio, 2021)



Viele Paare sind in ihrem Streit gut eingespielt. Sie redet an ihm vorbei, er über sie weg. Aber wer das Haar sucht, dem entgeht die Suppe. Man kann über jeder Suppe, auch der partnerschaftlichen, solange den Kopf schütteln, bis ein Haar darin liegt. Was mache ich aber, wenn ich in einer an sich schmackhaften Suppe ein Haar finde? Ich lasse mich davon nicht stören, fische es heraus und löffele trotzdem die Suppe genüsslich weiter.

Warum sehen wir rote Teppiche für Stars vor? (BB Radio, 2021)



Bereits in der Antike kannte man rote Teppiche, die damals eher rotviolett aussahen. Die Farbe Purpur war der kostbarste Farbstoff der Welt und musste in wochenlanger Arbeit aus dem Sekret der Purpur-Schnecke gewonnen werden. Folgerichtig war sie zum Bekleiden und Betreten nur den obersten Herrschern vorbehalten, um deren Macht und Bedeutung hervor zu kehren. Heute gibt es uns Stoff zum Nachsinnen, wenn von einem Star gesagt wird: Er ist immer auf dem roten Teppich geblieben.

Warum können wir Glück kaum genießen? (BB Radio, 2021)



Wir Europäer haben zweitausend Jahre Welt- und Lebensverneinung im Rücken. Durch unsere kulturellen Traditionen sind wir darauf geprägt, das unglückliche Bewusstsein zu überhöhen und auf das glückliche wie auf eine Kinderei herab zu blicken. Deshalb laufen viele Menschen dem Glück hinterher und merken nicht, dass in Wirklichkeit das Glück hinter ihnen herläuft und sie nicht einholen kann. Übrigens: Wer das große Glück sucht, dem entgeht das kleine.

Warum haben wir Angst etwas zu verpassen? (BB Radio, 2021)



Viele Menschen werden von Versäumnisangst geplagt. Dahinter steckt die letztlich irrige Vorstellung, es gäbe in der Welt noch völlig Neues und Nie-Dagewesenes, das uns entgehen könnte. Uns beunruhigt dann der Gedanke, das womöglich Beste läge bislang noch außerhalb unseres Frequenzspektrums. Die positive psychologische Wahrheit ist jedoch: Jeder, der diese Welt gesehen hat, hat eigentlich alles gesehen, was typischerweise zu sehen ist.

Warum treiben wir Freizeitsport? (BB Radio, 2021)



Die meisten modernen Menschen sind von schwerer körperlicher Arbeit freigestellt. Dadurch entstehen Energieüberschüsse, die verausgabt werden wollen. Das System des Freizeitsportes hat sich hier zu einem Multiversum mit hunderten von Nebenwelten entfaltet. Darin feiern die selbstbezügliche Bewegung, das nutzlose Spiel, die unaufgeforderte Verausgabung und der simulierte Kampf einigermaßen mutwillig ihr Dasein. Beim Sport können wir also die Anstrengung in den Dienst des Überflüssigen stellen.


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