Beiträge für einen Podcast (2)


Warum fühlen wir uns beleidigt? (BB Radio, 2021)



Statt eines dicken Felles haben heute viele Menschen ein eher dünnes Nervenkostüm. Sie verhalten sich wie kostbare Vasen aus der Ming-Dynastie: ein falsches Wort und sie haben einen Sprung. Hier wird bei kindlichen Mustern angeknüpft, nämlich bei theatralischen Übertreibungen von winzigen Verletzungen. Sobald die eigene Empfindsamkeit nicht geteilt wird, entsteht gleichsam Kabelbrand an den Nerven-Enden. Auf beiden Seiten hilft dann heitere Gelassenheit.

Warum glauben wir, dass unsere neue Liebe ewig hält? (BB Radio, 2021)



Wenn wir uns neu verliebt haben, neigen wir zur Selbstgratulation. Wir sprechen uns dann mehr Glück oder partnerschaftliche Kompetenz zu als der Durchschnittsbevölkerung. Um jeden Preis wehren wir den Gedanken ab, eine Niete gezogen zu haben. Denn wer in unsere erotische Schusslinie gerät, auf den lassen wir nichts kommen. Allerdings ist die Liebe ja nur selten ein Dauerbrenner und aus paartherapeutischer Einsicht in die Verhältnisse weise ich auf Zerreißproben hin. Auch Partnerschaften besitzen Sollbruchstellen.

Warum misstrauen wir Politik? (BB Radio, 2021)



Politik wird heutzutage zunehmend therapeutisch und möchte sich gern als Entwicklungshilfe für den überforderten Einzelnen begreifen. Der vorsorgende Sozialstaat will mich vor meiner Willensschwäche und Irrationalität schützen. Andere tun also für mich, was ich selbst tun würde, wenn ich bei klarem Verstand wäre. Sobald der Staat als Super-Nanny auftritt und seine Bürger wie Kinder oder Patienten behandelt, sträuben sich viele Haare.

Warum schauen wir gern Trash-TV? (BB Radio, 2021)



Als Zuschauer fühlt man sich stets überlegen, indessen die Handelnden sich unweigerlich blamieren. Wir lieben es zuzuschauen, wie bei anderen Leuten Zankäpfel über den Tisch rollen. Ohne persönlich betroffen zu sein, können wir beobachten, wie Konflikte entstehen, wie die Teilnehmer sich verausgaben und sich deren Gefühlslagen eintrüben oder aufhellen. Oft stellen wir dann mit Schadenfreude fest, dass deren knappes Kapital an Seriosität in der Regel rasch aufgebraucht ist.

Warum halten wir unseren Musikgeschmack für den besten? (BB Radio, 2021)



Musik begleitet uns durch viele Lebensphasen. Da wir sie nach unserer jeweiligen Gefühlslage auswählen, ist sie Teil unserer Identität. Abgesehen davon, dass jeder glauben möchte, er hätte einen besonders erlesenen Geschmack, fühlen wir auch unsere Emotionen in Frage gestellt, wenn unsere Lieblingsmusik bei anderen keinen Anklang findet. In unserer Gefühlswelt möchten wir selbst den Ton angeben; auf die Musik der anderen können wir pfeifen.

Warum reden wir manchmal mit uns selbst? (BB Radio, 2021)



Den Menschen geht es um ihr Beachtlichsein, ob sie nun interessant und sehenswürdig sind oder nicht. Reden wir mit uns selbst, haben wir den perfekten Kommunikationspartner, denn mit uns sind wir meistens einverstanden und von eigenen Ideen leicht zu begeistern. Auch wenn wir also keinen echten Zuhörer haben, können wir redetüchtig bleiben. Eine Sonderform sind Influencer: Die setzen sich zum Selbstgespräch nachts vor die Webcam.

Warum wünschen wir uns Kinder? (BB Radio, 2021)



Die Fähigkeit, Leben zu schenken, vermittelt uns ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Wer sich als Brunnen des Lebens erweist, empfindet sich als Juniorpartner der großen Natur. Der Wunsch nach Kindern kann hier dem eigenen Leben Richtung und Stoßkraft verleihen. Wem immer mal wieder Säuglinge anliegen, deckt oft auf diese Weise seinen Sinnbedarf. Inwieweit dann das Familienleben tatsächlich allen Wunschvorstellungen entspricht, steht auf anderem Blatt.

Warum tun wir nicht gern, was andere von uns wollen? (BB Radio, 2021)



Berührungen mit dogmatisch Gesagtem provozieren bei vielen Menschen heute antiautoritäre Reflexe, die sich nahezu zwanghaft einstellen. Wir glauben es unserer eigenen Würde schuldig zu sein, den uns erteilten Ratschlägen nicht zu folgen. Selbst im Sport- und Freizeitbereich nehmen wir Verhaltensanweisungen nur mit Murren hin. Man denke beispielsweise an die Kabinenstandpauke des Trainers an eine formschwache Mannschaft.

Warum lästern wir? (BB Radio, 2021)



Lästern schlägt zwei Fliegen. Zum einen wird die soziale Beziehung zu denjenigen vertieft, mit denen wir gemeinsam lästern. Zum anderen werden beim Lästern ja die Schwächen der Nichtanwesenden betont, sodass wir uns über sie stellen und selbst aufwerten können. Bereits im Mittelalter trafen sich Frauen des Dorfes am Waschplatz, um im doppelten Sinne schmutzige Wäsche zu waschen. Sie wurde auf einen Stein geschlagen, wodurch das typische Geräusch entstand, das man noch heute als Klatsch bezeichnet.

Warum lieben wir soziale Netze im Internet? (BB Radio, 2021)



Wir schlagen unseren Faden in ein Netz von Beziehungen. Social-Media-Plattformen sind nun deshalb so reizvoll, weil wir dort nirgendwo außer Acht gelassen werden. Wir können sie als Instrumente der Selbstpräsentation nutzen und uns der Illusion hingeben, unsere Kundgebungen seien für andere irgendwie interessant. Immerhin kann eine durchschnittliche Sechszehnjährige von heute über soziale Medien mehr Zeitgenossen erreichen als Caesar vom Capitol aus auf dem Höhepunkt seiner Macht.

Warum streiten Frauen und Männer unterschiedlich? (BB Radio, 2021)



Grob gesagt sind Frauen eher beziehungsorientiert und Männer sachorientiert. Aus diesem Grund meinen die Männer, sie müssten mit ihrem Fingerzeigfinger auf Dies und Das hinweisen. Umgekehrt suchen Frauen die Kundgebungen ihrer Männer oft nach verletzenden, gegen sie als Person gerichtete Äußerungen ab. Wenn ein Mann sagt, das Problem mit Frauen sei, dass sie alles persönlich nehmen, wird die Frau antworten: Auf mich trifft das nicht zu!

Warum wirkt Gähnen ansteckend? (BB Radio, 2021)



Gähnen zeigt nicht nur, dass unsere Müdigkeit ins Ziel geführt werden möchte, sondern feuert auch die Spiegelneuronen von Beobachtern an. Die ansteckende Wirkung des Gähnens ist also Ausdruck unbewusster Empathie und trägt dazu bei, den Zusammenhalt innerhalb von Gruppen zu stärken. Mein Ratschlag aus der Praxis: Möchte man einmal ein aufkommendes Gähnen unterdrücken, dann genügt es, die Zungenspitze kurz mit dem Finger anzutippen.

Warum geben wir uns gern sportlich? (BB Radio, 2021)



Die meisten Menschen brauchen sich im Alltag nicht mehr schwer muskulär anstrengen. Eine Ausnahme bilden Körperkünstler, die man heute ja Sportler nennt. Wenn Muskeln noch beansprucht werden, dann gern unter einem artistischen oder künstlerischen Vorzeichen. Es ist nämlich oft so, dass Sport ab einem gewissen Leistungsniveau - übrigens genauso wie ein Kunstwerk - um des Zeigens willen betrieben wird. Eine Sonderform sind Extremsportler; diese müssen sich den Tod bekanntlich hart erarbeiten.

Warum ist beim Tratschen der Wahrheitsgehalt nicht entscheidend? (BB Radio, 2021)



Wir lieben es, Neuigkeiten auszutauschen. Sobald unsere Mitteilungen für Andere interessant sind, streichen wir den Lohn in Form von Aufmerksamkeit ein. Indem wir uns also als gut vernetzte Informanten ausgeben, ziehen wir das Interesse auf uns, auch wenn unsere Äußerungen der tatsächlichen Wahrheit in nichts verpflichtet sind. Die Evolution hat den Menschen so gebaut, dass er bestmöglich überlebt. Richtigkeit und Wahrheit sind dabei untergeordnete Ziele.

Warum geben wir unseren Eltern Schuld? (BB Radio, 2021)



Wir alle glauben, der Zufall habe uns eine kleinliche Umwelt beschert, und andere Milieus seien besser. Wenn wir mit dem Leben unzufrieden sind, wehren wir die eigene Verantwortung dafür gern ab und schieben sie der beklemmenden Enge unseres Elternhauses zu. Die Wahrheit ist jedoch: Die Eltern haben es jeweils so gut gemacht wie sie konnten. Ich sage immer: Eigentlich lässt sich eine schöne Kindheit auch später als Erwachsener noch ein bisschen nachholen.

Warum wollen wir immer mehr von dem, was wir schon haben? (BB Radio, 2021)



Zu jedem Komfort gehört es, dass wir ihn nur als steigend konzipieren. Konsequenterweise empfinden wir das gegebene Niveau nach einer gewissen Weile als Unkomfort und klagen seine Hebung ein, als sei dies eine dringende Forderung der Menschenrechte. Genau das ist übrigens auch der Grund für die Fassungslosigkeit der modernen Menschen angesichts von Rezessionen und ihre Bereitschaft, wegen winziger Verluste an Realeinkommen das Ende der Zeiten für nahe zu halten.

Warum vergleichen Frauen ihre Körper mehr als Männer? (BB Radio, 2021)



Im Durchschnitt sind Frauen beziehungsorientierter als Männer und nehmen sich deshalb wechselseitig in den Blick. Durch die vergleichende Beurteilung von körperlicher Beschaffenheit lässt sich innerlich wahlweise die eigene Frische loben oder Veränderungsdruck auferlegen. Bereits in früheren Jahrhunderten gab es Plätze, auf dessen Bänken sich alte Frauen verglichen. Vorüberlaufende junge Frauen wurden vermessen und für zu griffig befunden. Bei Männern beobachten wir spätestens ab dem mittleren Alter, dass sie resigniert jeden Wettkampf aufgeben. Uns genügt es zu sagen: "Mir steht mein Penis gut."

Warum benutzen wir Emojis? (BB Radio, 2021)



Emojis können dabei helfen, Sprachbarrieren zu überwinden und emotionale Zustände noch nuancierter auszudrücken als mit Bestimmungswörtern. Psychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Verwendung von Emojis am Ende von positiven Textnachrichten diese nochmals positiver erscheinen lassen. Nachrichten mit negativem Inhalt werden durch Emojis zwar weiterhin als negativ aufgefasst, aber in ihrer Intensität verringert.

Warum geben wir Geld für unsinnige Dinge aus? (BB Radio, 2021)



Mitunter benötigen wir eine Selbstbestätigung für materiellen Wohlstand. Immerhin hatten wir uns früher als junge Erwachsene in Entbehrung flüssiger Mittel darauf zu beschränken, gleichsam von außen unser Gesicht an das Prunkgatter eines lusterfüllten Gartens zu pressen. Wenn wir dann später zu Geld kommen, möchten wir uns selbst und der Mitwelt durch überflüssige Güter demonstrieren, dass unser eingeschlagener Lebensweg richtig war. Der typische Denkfehler aller Wohlhabenden besteht darin, dass sie ihre zufälligen Erfolge als eigene Leistungen missdeuten.


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