Hörproben psychologischer Radiobeiträge (4)
aus dem Jahr 2024
Vergeht die Zeit schneller mit dem Älterwerden? (MDR Jump, 2024)
Ja, das stimmt tatsächlich. Einer Studie der US-amerikanischen Duke University zufolge verlangsamt sich mit zunehmendem Alter unsere Bildverarbeitung im Gehirn. Unsere Neuronennetze werden nämlich allmählich größer und komplexer, was zu längeren Pfaden und höherer Verarbeitungsdauer führt. Hingegen bewältigen junge Menschen mehr Bilder pro Tag und haben deshalb das Gefühl, mehr zu erleben. Hinzu kommt, dass sich ja mit dem Älterwerden unsere Bereitschaft für Aktivitäten reduziert, da wir lieber den Fuß ruhen lassen. Die Zeit vergeht dann ohne Ertrag und in unserer Empfindung sehr schnell. Die gute Nachricht ist aber, dass wir mit innerer Zweidrittelmehrheit jederzeit unsere seelische Verfassung ändern können. Durch Erlebnisse lässt sich das Davonrasen der Zeit subjektiv bremsen.
Macht zu viel Kultur im Urlaub krank? (MDR Jump, 2024)
Ja, das ist wahr. In der Psychologie sprechen wir vom Stendhal-Syndrom, das sich auf Reisenotizen dieses französischen Dichters aus dem 19. Jahrhundert bezieht. Er hatte bei einer Reise nach Florenz festgestellt, dass kulturelle Reizüberflutung zu Erschöpfungszuständen bis hin zu Panikattacken und Wahrnehmungsstörungen führen kann. Ein Zuviel an Ergriffenheit angesichts einer überbordenden Fülle von Kunstwerken und Baudenkmälern ist also nicht empfehlenswert. Stattdessen darf man es im Urlaub mit einem Tagesausflug in eine Kulturmetropole gut sein lassen, während sonst ganz einfache Sensationen genügen, etwa dass man einem Felsen für touristische Nutzung mit meterlangem Knüppelholz eine Naturtreppe beigebracht hat.
Erkennt man an der Automarke den IQ? (MDR Jump, 2024)
Nein, so einfach ist es nicht, aber der Reihe nach. Eine aktuelle britische Studie hat 2.000 Kraftfahrer nach deren Automarke befragt und einem kurzen Intelligenztest unterzogen. (Daraus ergab sich, dass Skoda-Fahrer mit einem durchschnittlichen IQ von 99 den ersten Platz einnahmen, gefolgt von Suzuki mit 98,1 und so fort. Den letzten Platz errangen Land-Rover-Fahrer mit einem IQ von 88,6. Hier zeigt sich schon das erste Problem:) Die Variationsweite der gemessenen Intelligenzquotienten ist äußerst gering und streut eng um den statistischen Durchschnitt. Man kann ja immer Dinge der Größe nach sortieren, aber solange die Werte sich untereinander nicht signifikant unterschieden, liegt purer Zufall vor. Außerdem wurden in der Studie auch viele andere Variablen abgefragt wie Autofarbe, Antriebsart usw. Und je mehr Variablen im Spiel sind, desto wahrscheinlicher wird man irgendetwas finden. So waren Fahrer von Benzinmotoren intelligenter als jene von Hybrid- oder gar Elektrofahrzeugen. Und Fahrer von grünfarbigen Fahrzeugen hatten den niedrigsten IQ.
Vergrößern Kurzvideos die Langeweile? (MDR Jump, 2024)
Nein, kürzlich wurde durch die Universität Toronto zwar eine Studie an 1.200 Versuchspersonen publiziert, die in sieben kleinen Experimenten eine Zunahme des Gelangweiltseins durch schnelles Wechseln zwischen Videos festzustellen meinte. Zugrunde lag das sogenannte Boredom Feedback Model, wonach Langeweile entsteht, wenn eine Tätigkeit nicht so interessant ist, wie man es sich erhofft hatte. Das Switching zwischen und innerhalb von TikToks und Youtube Shorts zeige demnach nur mehr vom Gleichen und führe zur Frustration. Natürlich suchen wir alle nach sinnvoller Gestaltung unserer Lebenszeit. Es liegt aber an uns selbst, ob wir Kurzvideos missmutig einfach nur als Berieselung betrachten oder darin eintauchen mit dem guten Willen, irgendetwas aus ihnen zu lernen. Wenn sie nämlich unseren Gedanken eine andere Richtung geben oder uns Stoff zum Nachsinnen präsentieren, sind sie ein Regen für den Seelengarten.
Liegen wir bei der Altersschätzung durchschnittlich um 8-11 Jahre daneben? (MDR Jump, 2024)
Ja, das stimmt. Studien ergaben, dass wir uns beim Alter fremder Personen um mehr als 10 Jahre verschätzen können. Besonders jüngere Menschen werden älter geschätzt und alte Menschen werden oft für jünger gehalten als sie es in Wirklichkeit sind. Der Grund liegt in unserer ganzheitlichen Wahrnehmung von Gesichtern. Theoretisch könnten wir uns ja auf Einzelmerkmale des Alters konzentrieren, wie auf Texturen von Falten, typische Pigmente oder Volumenverluste der Haut. In der Realität haben wir uns aber antrainiert, Gesichter als Einheiten aufzufassen. So sehen wir ja in einem Smiley mit zwei Punkten und gebogener Linie bereits ein lachendes Gesicht. Dieses Ausblenden von Einzelheiten in der Gesichterwahrnehmung bringt wiederum den Vorteil, dass wir sie insgesamt besser wiedererkennen können.
Steigert Sportschauen das Wohlbefinden? (MDR Jump, 2024)
Ja, erst im März 2024 veröffentlichten die japanischen Sportwissenschaftler Sato und Kinoshita von der renommierten Waseda-Universität in Tokio eine Studie, die an mehr als 20.000 Japanern einen Zusammenhang zwischen Sportschauen und Wohlbefinden feststellten. Demnach fördert das Verfolgen sportlicher Ereignisse sowohl im Stadion als auch am Bildschirm nicht etwa nur das Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl unter den Zuschauenden, sondern auch die gemessenen Gehirnaktivitäten wiesen auf positive Effekte. Nun ist es ja so, dass beim Sport die Anstrengung in den Dienst des Überflüssigen gestellt wird. Das heißt, Sportler trainieren und zeigen Muskelbewegungen, die im Alltag nicht benötigt werden. Dahinter steckt das menschliche Bedürfnis, sich mit Sport selbst zu beeindrucken. Ich würde von einer Win-Win-Situation sprechen, wenn nun auch diejenigen profitieren, die keine sportliche Disziplin üben.
Können zu spät kommende Menschen nichts dafür? (MDR Jump, 2024)
Ja, da ist etwas dran. Landläufig wird Zuspätkommen ja als mangelnde Wertschätzung für den Wartenden und in der modernen Psychologie als eine Form passiv-aggressiven Verhaltens interpretiert. Allerdings legen uns einige Studien nahe, dass Zuspätkommer möglicherweise von ihren eigenen Gehirnen bei der Einschätzung des Reiseweges irregeleitet werden. Je bekannter uns nämlich ein Weg ist, in umso kürzerer Zeit meinen wir ihn zurücklegen zu können. Deshalb wird etwa bei Verabredungen in der eigenen Stadt schlichtweg nicht rechtzeitig genug aufgebrochen, sodass man sagen kann: Es ist nie zu spät, unpünktlich zu sein.