Beiträge für einen Podcast (14)


Warum betrachten wir uns morgens ungern im Spiegel? (BB Radio, 2022)



Viele Menschen geraten morgens dem Spiegel in die Falle. Steht uns nämlich noch ein bisschen Schlaf in den Augen, glauben wir, dass wir übermäßig zerknittert seien. Wir bringen dann misstrauisch unser Gesicht dem Spiegelglas nahe und schneiden uns eine saure Grimasse. Wir wünschen nämlich nicht, dass unser Aussehen unsere Lebenslast ahnen lässt. Tatsächlich sehen andere aber bei uns nur, was sie zu sehen beschlossen haben und deshalb eigentlich das, was sie immer sehen. Aus diesem Grund könnten wir den Mut haben, uns auf dem Gebiete der Toilette mit einem Minimum zu behelfen.

Warum reduziert sich in der Lebensmitte unser Freundeskreis? (BB Radio, 2022)



Die Misanthropie ist älter als der Mensch. Schon der Großaffe in mittleren Jahren kann nach der Midlife Crisis zuweilen übellaunig werden und den Mitaffen nicht mehr leiden. Je älter wir nämlich werden, desto verhärteter sind wir in unseren Anschauungen. Unsere Flexibilität lässt zu wünschen übrig. Da dies jedoch bei vielen Gleichaltrigen ebenfalls abläuft, dampfen sich die Freundeskreise ein. Hinzu kommt, dass wir immer weniger meinen, auf sie angewiesen zu sein, da wir vieles mit Geld lösen, wofür wir früher Freunde gebraucht haben. Man kann sich übrigens nur Freunde machen, wenn man selbst einer ist.

Warum reden wir gern über unsere Probleme? (BB Radio, 2022)



Als Herdentiere lieben wir den Austausch mit anderen. Wenn wir einander unsere Kümmernisse mitteilen und Auskunft über unsere Befindlichkeiten geben, geschieht dies nicht nur, weil sich in uns Erzählmasse gestaut hat. Wir fühlen uns nämlich bereits gewertschätzt, wenn uns jemand nur zuhört und wir in einer Ohrmuschel Zuflucht suchen können. Indem wir über etwas reden, ordnen wir unsere eigenen Gedanken. Manche sind freilich ihren Herzenskummer zu verbergen bemüht, sodass nur der Aschenbecher Auskunft über die Fortschritte ihrer Krise gibt. Andere können in fließendem Therapeutisch über ihre Beschwerden sprechen. Das gesunde Maß liegt wie immer in der Mitte.

Warum bekommen wir Frühlingsgefühle? (BB Radio, 2022)



Solange vor dem Fenster Winter ist, bedarf es zahlreicher Hausmeister und Psychologen, um die schneebedeckten und auch innerseelischen Bürgersteige wieder deutlich zu machen. Reißen im Frühjahr dann die Wolken auf, wird dies von uns mit überfließendem Herzen bejaht. Die Tageshelligkeit ist nämlich deutlich höher als im Winter, sodass unsere Produktion des Müdigkeitshormons Melatonin gedrosselt und die des aktivierenden Serotonins gefördert wird. Auch viele Tiere paaren sich vermehrt im Frühling. Von der Natur kommt also heiterer Zuspruch und wir können den Becher der Lebenslust kippen.

Warum tun uns Telefonate mit guten Freunden gut? (BB Radio, 2022)



Wir Menschen sind manchmal außer Stande, die Gedanken zu ordnen, die uns tausendfältig bestürmen. Es helfen dann Telefonate im Freundeskreis, da wir hier Bericht geben oder unseren Sündenpfuhl ausleeren können. Werden gute Freunde zu Rate gezogen, wenn uns Trübsal erfasst, fungieren sie als unsere Zündschlüssel und sind mitunter durchaus auch in der Lage, unser Schifflein wieder flott zu machen.

Warum können Männer schlechter zwischen den Zeilen lesen? (BB Radio, 2022)



Frauen sind bei der Partnerwahl auf der Suche nach Männern, die die materiellen Probleme klein halten. Deshalb haben im Laufe der Menschheitsgeschichte die Männer gelernt, der Welt eher sachlich zugetan zu sein. Frauen hingegen orientieren sich stärker an ihren Beziehungen zu anderen Menschen und haben deshalb die Fähigkeit erworben, feinere Subtexte zu lesen. Denn zwischen den Zeilen liegt der Raum für emotional Mitgemeintes und Zwischenmenschliches. Dorthin reicht kein nüchterner Geradsinn. Daher fürchtet man auch zu Recht alte Männer, deren Finger nah am Drücker zittern.

Warum sind wir reizbarer, wenn wir Hunger haben? (BB Radio, 2022)



Hinter unserer Reizanfälligkeit bei Hunger steckt der Blutzuckerspiegel. Ist er zu niedrig, fehlt besonders unserem Gehirn Energie. Folgerichtig werden wir unkonzentriert, begehen vermehrt Fehler und uns fehlt regelrecht die Kraft, nett zu sein. Unser Körper stößt das aus 36 Aminosäuren bestehende Neuropeptid Y aus, einen Botenstoff, der uns aggressiv gegenüber anderen Menschen werden lässt. Alles gibt uns Reizfutter und unsere Gedanken sind fast nur noch auf mögliches Essen gerichtet. Mit wölfischem Hunger drängen wir uns dann an den Tisch und stopfen uns heißhungrig.

Warum lassen wir uns durch Horrorfilme ängstigen? (BB Radio, 2022)



Horror- und Gruselfilme setzen auf die Funktionstüchtigkeit unserer Spiegelneuronen. Denn wenn den Protagonisten Unheilvolles widerfährt, werden auch in unseren Gehirnen ähnliche Empfindungen wachgerufen. Bereits in alten Märchen steht dunkel uns der Wald nahe, in dem sich Kinder verlaufen und in vielerlei Gestalt die Angst wurzelt. Früher genügte es in Gruselfilmen, wenn sich eine Orgel mit Macht hören ließ; schon setzte in allen Spielarten unsere Angst ein. Heute sind wir etwas abgestumpfter und nehmen auch stärkeren Tobak. Psychologisch gewendet, bleiben wir durch die Kunst von Horrorfilmen gefordert, unsere Ängste aufzufrischen.

Warum fühlen wir uns in langjährigen Partnerschaften voneinander genervt? (BB Radio, 2022)



Währt eine Partnerschaft viele Jahre, kennen wir die Unverbesserlichkeit der beiderseitigen Macken und sind auch der immer gleichen Geschichten des Partners überdrüssig. Fast alle Frauen nehmen daher an den Reden ihrer Männer Anstoß und auch die Männer lassen in ihrer zuwendungsvollen Spannkraft nach. Sind die Frauen gar irgendwann lieber mit ihren Freundinnen und die Männer mit Bierflaschen befasst, werden im Extremfall bei der Zubereitung von Pilzen neben essbaren Sorten auch solche in Betracht gezogen, die die Gesundheit des Anderen zu schädigen imstande sind.

Warum geht es uns besser, wenn wir bei Frust ein wenig tanzen? (BB Radio, 2022)



Bemächtigt sich Frust oder Niedergeschlagenheit unseres Geistes, ist nicht immer jemand da, gegen den wir unser Herz ausschütten können. Möchten wir dennoch über den Kummer hinweg kommen, den bestimmte Ereignisse eingerührt haben, hilft ein wenig Tanzen. Sowohl unser Körper als auch unsere Seele geraten dadurch wieder in Fluss. Die harmonischen Bewegungen sorgen dafür, dass unserem verengten Herzen ein positiver emotionaler Schrittmacher geschenkt wird.

Warum folgen wir Influencern? (BB Radio, 2022)



Streng genommen sind den Influencern keine besonderen Gaben zuzusprechen. Die meisten von ihnen besitzen weder gute Erfahrung in praktischer Berufsausübung noch haben sie je beschlossen, die Brust einer Universität anzunehmen und sich mit den Anfängen irgendeiner Kunst oder Wissenschaft vertraut zu machen. Dennoch befolgen wir gern ihre Lebens- und Kosmetiktipps, da uns ihr Talent genügt, sich auf dem Stuhl vor der Webcam gefällig zu wiegen. Durch den nicht abreißenden Strom ihrer Postings wird uns eine Vertrautheit vorgegaukelt, die wir als eine moderne Form von Freundschaft wahrnehmen.

Warum stehen wir ungern im Mittelpunkt? (BB Radio, 2022)



Mit kaum etwas kann man die Menschen leichter ködern und die Wissenschaft nachhaltiger verwirren als mit der humanistischen Forderung, der Mensch habe im Mittelpunkt zu stehen. Tatsächlich stehen die wenigsten Einzelwesen gern im Brennpunkt der Aufmerksamkeit, da die Wahrscheinlichkeit von Blamieren steigt, je mehr Augenpaare auf uns gerichtet sind. Es ist wesentlich bequemer und energiesparender, sich einer beliebigen Mehrheitsgruppe anzuschließen und von dort aus in schlaffer Haltung nur zu beobachten.

Warum haben wir Angst vor dem Zahnarzt? (BB Radio, 2022)



Wenn sich in unserem Mund gesunde Zähne sehen lassen sollen, werden Zahnarztbesuche früher oder später zur unaufschiebbaren Notwendigkeit. Allerdings gelingt es nicht allen, dort Haltung zu bewahren und den Praxisaufenthalt als innere Gleichgewichtsübung zu bewältigen. Intuitiv halten wir nämlich die Gerätschaften für zu hart, spitz und laut, um sie in unserem sensiblen Mund wirken zu lassen. Hinzu kommt, dass das Ambiente oft wenig tut, um den Patienten in sorgloser Stimmung zu halten. Ein martialisch anmutender Behandlungsstuhl nebst heller Lampe und Spülungsbecken machen das Vertrauenfassen schwer.

Warum haben wir im Frühling mehr Energie? (BB Radio, 2022)



Nach einem langen Winter sind unsere Lichter oft herabgebrannt oder nahezu ausgelöscht. Uns setzt das unschöne Wetter zu und wir klagen über den Winterfrost der Trostlosigkeit, der uns beim Anblick der Welt überfällt. Mit dem einsetzenden Frühling beleben sich auch unsere Kräfte, da der Himmel Farbe annimmt, die Tage länger und wärmer werden, und wir vom auftrumpfenden Pflanzenwachstum umgeben sind. Es bietet sich uns wieder ein Füllhorn von Aktivitätsmöglichkeiten im Freien und die Knospenbotschaft im März lässt auch die seelischen Himmel von Tier und Mensch erhellen.

Warum können wir nicht einschlafen, wenn wir grübeln? (BB Radio, 2022)



Grüblerische Gedanken können unseren Schlaf durchaus in Besitz nehmen. Zum Einschlafen muss nämlich unser Gehirn chemische Substanzen freisetzen, die das Bewusstsein abschalten. Das logisch-kohärente Denken beginnt zu zerfallen und es senkt sich der Schlaf über uns. Bewegen wir in unserem Schädel jedoch allerhand Grübeleien, die auch noch emotional besetzt sind, meint unser Gehirn noch Dinge erledigen zu müssen und hält uns wach. Bevor unsere Furcht vor der Zukunft ins Riesenhafte wächst, sollten wir dann lieber noch einmal aufstehen und kurz auf die Toilette gehen.

Warum möchten wir manchmal einfach nur allein sein? (BB Radio, 2022)



Zuweilen möchten wir uns in mentaler Einsamkeit einpuppen. Der Grund liegt in der Anstrengung, die uns unsere komplizierten Sozialbeziehungen täglich abverlangen. Vorübergehend nicht kommunizieren zu müssen, spart Energie und unsere Kräfte erhalten eine Möglichkeit zum Sammeln. Wir können uns dann vor der Welt vergraben und ungestört mit dem Leben und unserem Schicksal Zwiesprache halten. Falls wir übrigens eine Verteidigungslinie für unseren zeitweiligen Rückzug benötigen, können wir so tun, als seien wir von unbestimmt künstlerischer Beschäftigung.

Warum fällt uns Verzicht auf Alkohol schwer? (BB Radio, 2022)



Viele Menschen erwägen, mit dem Alkoholkonsum gänzlich aufzuhören, schwanken aber noch. Denn abgesehen von seinem tatsächlichen Suchtpotenzial glauben wir an den geselligen Effekt eines gemeinsamen Trinkens und haben uns außerdem antrainiert, Alkohol dann aufzunehmen, wenn uns gerade nichts Besseres einfällt. Bevor wir jedoch grundlos der Natur zuprosten, sollten wir uns vor Augen führen, dass jedem Schluck Alkohol auch bleihaltige Schwermut beigemischt ist. Selbst wenn wir zunächst Fidelität spüren oder im Rausch unseren wechselseitigen Flirtroutinen unterliegen, so fallen alkoholisch enthemmte Gemüter doch irgendwann auf Nüchternheit zurück.

Warum erliegen wir selbsterfüllenden Prophezeiungen? (BB Radio, 2022)



Erwartungshaltungen lenken unser Erleben und Verhalten in eine bestimmte Richtung. Da wir an unsere eigenen Zukunftsprognosen glauben, agieren wir so, dass sie sich erfüllen. Sobald nämlich schrittweise eintritt, was wir erwartet haben, verstärken wir unbewusst unser entsprechendes Verhalten, um noch mehr Erwartbares zu verwirklichen. Die Erfundenheit von etwas beinhaltet übrigens keinen Einwand gegen die Wahrheit einer Sache, so wie die Tatsache, dass Flugzeuge Erfindungen sind, die Tatsache ihres Fliegenkönnens nicht widerlegt.

Warum mögen wir keine perfekten Menschen? (BB Radio, 2022)



Dort, wo Sprünge in den Dingen und Menschen sind, kommt das Licht herein. Deshalb sind wir eigentlich voller Duldsamkeit gegen die Schwächen unserer Artgenossen. Solange noch Potenzial nach oben vorhanden ist, sind unsere Mitmenschen unvollkommen wie wir selbst und wir brauchen uns an ihrer Seite nicht allzu klein zu fühlen. Wir können dann gemeinsam wachsen. Liebenswürdig ist daher immer nur der Verlangende, nicht der Satte.


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